In diesen Tagen besuchte ich zwei Städte in der Umgebung:
Bocaranga, 125 km nördlich. Hier hat die Seleka am Dienstag, d. 21. Januar, angegriffen.
Sie schossen auf die Menschen, die in der katholischen
Missionsstation Zuflucht gesucht hatten, und nachdem sie alles geraubt
hatten, was sie konnten, schossen sie auf die Patres und die Schwestern.
Als sie weg waren, haben die Anti-Balaka die Arbeit zu Ende geführt,
indem sie die Geschäfte plünderten und die Häuser der Moslems
anzündeten.
Bossemptélé, 87 Kilometer südlich, eingenommen von den
Anti-Balaka, die viele Menschen töteten und alles plünderten, was den
Moslems und Fulbe gehörte.
Hier in Bozoum ist die Situation im Vergleich zum Rest des Landes
besser: Die Anti-Balaka kommen nicht mit Waffen in die Stadt und es ist
ziemlich ruhig, von ein paar Schüssen am Tag abgesehen.
Am Montagmorgen haben die öffentlichen Schulen den Unterricht wieder aufgenommen, und das ist eine gute Nachricht.
Am Dienstag besuchten uns einige Beamte der Vereinten Nationen und
wir versuchten, die Menschen dazu zu bewegen, mit dem Wiederaufbau zu
beginnen. Es waren auch Journalisten dabei. Hier der Artikel des
Journalisten Adrien Jaulmes vom „Figaro“.
Bozoum, Sonderbericht:
In den Dörfern wie in der kleinen Stadt Bozoum ist Pater Aurelio
eine Berühmtheit. Wenn er mit seinem Auto vorbeifährt, winken ihm die
Leute , und sein Wagen ist sofort umringt, wenn er anhält. In der ganzen
Umgebung erkennen die Leute ihn schon von Weitem an seiner Gestalt.
Sehr schmal, 10 Jahre jünger aussehend als 52 Jahre, ein kleines
Holzkreuz um den Hals, ein blaues Hemd, eine kurze Sommerhose und
Sandalen, die rot von Laterit sind, ein kurzer Bart. Der italienische
Missionar wird überall empfangen als der Mann, der Hoffnung, Ermutigung
und Beruhigung bringt.
Auf seinem einsamen Posten in dieser Stadt, die mehr als 400 km
nordwestlich von Bangui liegt, sind seine einzigen Waffen ein
Mobiltelefon, seine außerordentliche Energie und sein unverwüstlicher
physischer und moralischer Mut. Pater Aurelio hat monatelang einen fast
unmöglichen Kampf geführt.
Er weigert sich, die Gewalt als unvermeidbar anzusehen, und
versuchte, den schrecklichen Teufelskreis von Übergriffen und Gewalt,
der in Zentralafrika anfing, zu beenden. Oder, wie er es schreibt, „ein
bisschen Menschlichkeit und Rationalität in den Wahnsinn des
Bürgerkriegs zu bringen.“
Pater Aurelio ist es nicht gelungen, alle Gewalttaten und
Zerstörungen verhindern. Aber manchmal hat er es geschafft, den einen
oder anderen dazu zu bringen, auf die Vernunft zu hören, und manchmal
hat er geholfen, das Schlimmste zu vermeiden. Seit Monaten führt er
seinen persönlichen Kampf, um vor den wachsenden Gefahren zu warnen.
Als sich die Höllenmaschinerie erst einmal in Gang gesetzt hatte,
intervenierte er, um zu versuchen, beide Seiten dazu zu bringen, die
Waffen niederzulegen, sammelte selbst die Macheten und Gewehre ein,
sprach mit den Mördern, versuchte, die Gemüter zu beruhigen und zu
vermitteln, um ein Blutbad zu vermeiden.
Der Karmelitenpater Aurelio Gazzera kam in den frühen 90ern nach
Zentralafrika und ist seit 2003 für die Gemeinde St. Michael in Bozoum
verantwortlich. Die Ankunft der Seleka-Rebellen in der kleinen Stadt hat
seine apostolische Sendung verändert.
Als die Rebellen – eine moderne und afrikanische Form der
mittelalterlichen Räuberbanden - am 26. März 2013 mit ihren Pickups aus
dem Norden in Bozoum ankommen, verhalten sie sich hier wie im Rest des
Landes: sie sind gewalttätige Banditen, die stehlen, rauben, erpressen,
Lösegeld fordern, foltern und töten.
„Sie haben von Anfang an wer weiß was alles gemacht,“ sagte Pater
Aurelio, der immer versuchte, ihren Gewalttaten einen Riegel
vorzuschieben. „Ich habe regelmäßig ihren Hauptmann besucht , Oberst
Yahya Massar,“ sagte er. „Wenigstens mit ihm konnte man vernünftig
reden. Aber er hatte nicht immer großen Einfluss auf seine Leute.“
Pater Aurelio hat selbst die Brutalität der Milizen erfahren. „Die
Seleka-Rebellen hatten einen jungen Mann 10 Tage lang gefoltert. Sie
ließen ihn so lange gefesselt, dass er seine Hände nicht mehr gebrauchen
konnte. Ich bin hingegangen und habe ihnen gesagt, dass sie nicht das
Recht hätten, Menschen zu foltern. Sie sagten mir, sie seien Soldaten
und könnten machen, was sie wollten. Einer von ihnen wurde wütend und
schlug mich. Ich bin gegangen, aber sie schienen jedenfalls ein bisschen
Angst vor mir zu haben. Im Grunde sind es Feiglinge, die sich an den
Schwächeren auslassen. Wenn man sie hart anfasst, schafft man es, sie zu
bezwingen, wenigstens teilweise.“
In seinem Blog berichtet Pater Aurelio von diesen Gewalttaten und
von der zunehmenden Spannung, die er beobachtet. Er versucht, Alarm zu
schlagen, um die öffentliche Meinung, die Medien und die Regierungen auf
den Flächenbrand aufmerksam zu machen, der Zentralafrika zu
verschlingen beginnt.
„Wir haben sehr schnell gesehen, dass die Brutalität der Seleka
furchtbare Konsequenzen hat und dass der Hass zwischen den
Bevölkerungsgruppen wächst“, sagte Pater Aurelio. „Seit August
organisierten sich die Menschen, die über die Gewalt, die Diebstähle und
die Folterungen aufgebracht waren, in den Milizen der Anti-Balaka.“
Die Zerschlagung des Schreckensregimes der Ex-Seleka (als solche
wird sie seit der fiktiven Zerschlagung der Bewegung bezeichnet) durch
das Eingreifen der französischen Truppen und denen der Nachbarstaaten
Mitte Dezember löst eine neue Welle von Mord und Zerstörung in Bozoum
und in der ganzen Zentralafrikanischen Republik aus.
Die Rollen sind plötzlich umgekehrt. Die Anti-Balaka,
Bauernmilizen, die mit Macheten und selbst hergestellten Gewehren
bewaffnet sind, greifen an. Die Moslems in der Stadt und die Fulbe, die
Hirten sind, die zu Recht oder zu Unrecht mit der Seleka in Verbindung
gebracht werden und deshalb verhasst sind, werden die Opfer der Gewalt.
Der Höhepunkt ist am 10. Januar durch den erzwungenen Rücktritt
von Präsident Djotodia erreicht, der dem Schein der Macht der Ex-Seleka
in Bangui ein Ende setzt.
Die in Bedrängnis geratenen Milizen der Seleka sind entfesselt, als
ob sie hinter sich nur Ruinen und Zerstörung lassen wollten.
Seite an Seite mit Moslems und Fulbe, die ihre Verbündeten sind,
verwüsteten sie die Dörfer um die Stadt herum und terrorisierten die
Bevölkerung. „Sie handelten mehr aus Dummheit und Bosheit als zu einem
bestimmten Zweck“, meint Pater Aurelio. Mindestens 1300 Häuser wurden in
Brand gesteckt. Die in Angst und Schrecken versetzten Bewohner flohen
in den Wald oder suchten Zuflucht in der Gemeinde St. Michael in Bozoum.
Das Dorf Boyele im Norden der Stadt ist völlig niedergebrannt
worden. Die Bewohner sitzen auf den Stufen ihrer armseligen Häuser, die
durch das Feuer schwarz sind, und suchen die kleinen Dinge, die der
Zerstörung durch das Feuer entgangen sind. Einige versuchen, etwas, was
zumindest den Anschein eines Daches erweckt, auf den Überresten der
Mauern anzubringen.
Die Bevölkerung von Boyele verdankt ihre Rettung der Flucht. „Am
Morgen des 10. Januar hörten wir Schüsse,“ sagt ein Dorfbewohner, „also
sind wir in den Wald geflohen.“
Die Seleka-Rebellen und die Fulbe kamen und haben die Häuser in
Brand gesteckt. Wir haben den Rauch, der zum Himmel stieg, gesehen. Als
wir am Nachmittag zurückkehrten, war alles zerstört. Wir haben alles
verloren: das Saatgut, die Ernte, die Möbel, die Häuser.“
Zur Vergeltung griffen die Anti-Balaka Häuser der Moslems an und
legten einen Hinterhalt auf den Straßen. Die Moslems suchten in Bozoum
Zuflucht, das noch in der Hand der ehemaligen Seleka-Rebellen ist, die
aber jetzt umstellt sind. „Die Situation war äußerst kompliziert,“ sagte
Pater Aurelio. „Wir hatten 3500 Flüchtlinge in der Gemeinde, ungefähr
1500 Fulbe bei der Moschee, und 50 Seleka-Rebellen in der Stadt, die
potenziell immer gefährlich sind.“
Der Priester versucht zu vermitteln. „Als man mich aus dem Tschad
anrief, um mich zu bitten, die Evakuierung der muslimischen
Zivilbevölkerung zu organisieren, gab ich zur Antwort, dass sie eine
Bedingung akzeptieren müssten: Sie müssten ebenfalls alle
Seleka-Rebellen mitnehmen . Ich habe zwei Tage damit verbracht, die
Seleka zu überzeugen, abzuziehen. Bis zur letzten Minute haben sie
versucht zu bleiben. Zum Schluss habe ich der Misca ( Soldaten der
multinationalen Truppe der Länder Zentralafrikas) gedroht, dass ich mein
Auto nehme, um ihnen auf der Brücke über den Ouham die Straße zu
versperren, und ich habe gesagt, dass sie mich erschießen müssten, um
weiterzufahren.“
Die Brücke wurde 1943 von italienischen Kriegsgefangenen zur Zeit
von Französisch- Äquatorialafrika gebaut und ist der einzige Übergang
Richtung Norden an der Grenze zum Tschad und der einzige Fluchtweg für
die Moslems und die Seleka.
Schließlich stimmte die Seleka zu, die Stadt zu verlassen. Aber
Pater Aurelio wird sofort das Ziel der muslimischen Gemeinde, die sehr
wütend ist wegen des Abzugs der Seleka, die ihnen Schutz geboten habe.
„Es war ein Augenblick höchster Spannung!“, sagte er. „Viele Moslems
umringten mein Auto und begannen mit Steinen zu werfen,“ meinte er wie
beiläufig. Die Windschutzscheibe seines Toyota ist ein Mosaik von
Bruchstücken. „Überraschenderweise wurde ich von einem Moslem und einem
Seleka-Rebell beschützt. Dieser hieß 10/15 und war einer der härtesten
Männer.“
In der Missionsstation „Sankt Michael“ glauben alle, dass der Pater
getötet wurde. „Als ich zurückkehrte, kam es zu einem Freudenausbruch.
Die Menschen glaubten an ein Wunder. Sie warfen Kleidung auf den Boden,
um mich zu begrüßen – es war wie Palmsonntag.“
Gerade ist die Gefahr durch die Seleka vorbei, da ist Pater Aurelio
mit der Rache der Bevölkerung konfrontiert, die nach den Monaten des
Terrors wie irrsinnig ist. Opfer werden oft zu den größten Henkern, und
jetzt sind die Moslems an der Reihe, für die Gewalttaten durch die
Seleka zu büßen. „Die Anti-Balaka sind das Problem geworden,“ sagte
Pater Aurelio. „Viele sind Verbrecher ohne Hierarchie, ohne Führer, die
da sind, um das Gesetz zu brechen, zu töten und zu rauben. Einige nehmen
Kinder der Fulbe als Geiseln, um Lösegeld zu erpressen, zerstören deren
Eigentum und zerstreuen ihre Herden. Es ist schwierig, die Menschen
dazu zu bringen, zwischen Seleka, Moslems und Fulbe zu
unterscheiden,“sagte Pater Aurelio. „Die Moslems haben es nicht
geschafft, sich deutlich von der Seleka zu distanzieren, und dafür
zahlen sie den Preis.“
Ohne jemanden zu entschuldigen, zweifelt der Pater nicht an den Ursachen der Gewalt.
„Die Fulbe z.B. sind Opfer der eigenen Fehler. Sie waren nicht in
der Lage, ein wenig weiter zu sehen. Sie verbündeten sich mit der
Seleka, ohne an die Konsequenzen zu denken. Ich habe versucht, sie zu
warnen, dass sie sich eines Tage in einer unerträglichen Lage befinden
würden. Würden sie sich mit ihren Herden in der Stadt niederlassen
wollen, wenn sie nicht mehr draußen auf dem Land bleiben könnten? Aber
sie wollten nicht hören.“
Unter dem Schutz der Misca, die mit einer kleinen Abteilung aus
Kamerun anwesend ist, leben 2500 Moslems eingepfercht in einer kleinen
Straße am Markt von Bozoum. Diese Flüchtlinge sitzen zwischen ihren
Taschen und den wenigen Sachen, die sie aus den geplünderten Häusern
mitnehmen konnten, und warten darauf, das Land zu verlassen.
„Zentralafrika ist vorbei für uns,“ sagte Djodo Mahamatom, Sprecher der
Händler von Bozoum, vor seiner Ladentheke, wo er Gold und Diamanten
ankauft. „Wir können nicht in diesem Land bleiben.“
Ganze Familien der Fulbe- das sind Hirten, Halbnomaden mit oft
heller Haut- kochen ihre Mahlzeiten auf kleinen Öfen. Die Frauen tragen
bunte Kleidung, haben die Haare geflochten, tragen Silberschmuck und
einige haben schöne Tätowierungen auf das Gesicht und die Arme gemalt.
Pater Aurelio bringt den Flüchtlingen jeden Tag Säcke mit Reis, die
er auf eigene Kosten gekauft hat. „Der böse Pater ist gekommen, um gute
Sachen zu bringen!“, hat zu ihm der Leiter des Bezirks gesagt, Saleh
Ibrahim. „Er scherzt“, sagt Pater Aurelio,“ So haben sie mich genannt,
als sie mich töten wollten. Unter diesen Leuten sind welche, die mich
neulich mit Steinen beworfen haben,“ sagt’s und grüßt die Moslems, die
auf ihren Bündeln sitzen so, als wäre nichts gewesen
„Unsere einzige Hilfe ist „Monsieur Aurelio““, sagte Saleh Ibrahim.
„Wir haben alles verloren, unsere Geschäfte sind geplündert, sie haben
unser Vieh gestohlen. Man kann diese Straße nicht verlassen. Geht man
nur ein paar Meter hinter die kamerunensischen Soldaten, töten uns die
Anti-Balaka oder entführen unsere Kinder.“
„Wir wollen dieses Land verlassen, aber wir haben nicht einmal die
Lastwagen dafür,“ sagte der alte Chef, der 45 Jahre in Bozoum gelebt
hat. „Ich bin alt, aber die Jungen müssen einen sicheren Platz für ihr
Leben finden.“
Saleh Ibrahim ist einer die vielen Muslime, die eher Opfer als als
Komplizen der Seleka sind. „Es ist die Ankunft der Seleka, die Bozoum
entzweit hat. Vor ihnen gab es keine Gewalt zwischen uns und den
Christen. Sie haben uns geschadet.“
Für Pater Aurelio ist dieser Bürgerkrieg kein Religionskrieg. „Ich
denke, dass wir diesen Begriff vermeiden sollten: Es gibt keine
christlichen und keine muslimischen Milizen. Das ist hauptsächlich ein
politisches, ethnisches und kulturelles Problem. Ich glaube nicht, dass
die Seleka jemals ein Programm zur Islamisierung hatte. Es waren Moslems
mit arabischer Sprache und sie haben sich auf die muslimische Gemeinde,
auf die Händler und auf die Fulbe als Züchter verlassen. Aber jetzt
ist der Schaden angerichtet, und es wird schwer sein, ihn rückgängig zu
machen."
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