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Samstag, 1. Februar 2014

Die Lage bessert sich nicht!









In diesen Tagen besuchte ich zwei Städte in der Umgebung:
Bocaranga, 125 km nördlich. Hier hat die Seleka am Dienstag, d. 21. Januar, angegriffen.
Sie schossen auf die Menschen, die in der katholischen Missionsstation Zuflucht gesucht hatten, und nachdem sie alles geraubt hatten, was sie konnten, schossen sie auf die Patres und die Schwestern. Als sie weg waren, haben die Anti-Balaka die Arbeit zu Ende geführt, indem sie die Geschäfte plünderten und die Häuser der Moslems anzündeten.
 Bossemptélé, 87 Kilometer südlich, eingenommen von den Anti-Balaka, die viele Menschen töteten und alles plünderten, was den Moslems und Fulbe gehörte.
Hier in Bozoum ist die Situation im Vergleich zum Rest des Landes besser: Die Anti-Balaka kommen nicht mit Waffen in die Stadt und es ist ziemlich ruhig, von ein paar Schüssen am Tag abgesehen.
Am Montagmorgen haben die öffentlichen Schulen den Unterricht wieder aufgenommen, und das ist eine gute Nachricht.
Am Dienstag besuchten uns einige Beamte der Vereinten Nationen und wir versuchten, die Menschen dazu zu bewegen, mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Es waren auch Journalisten dabei. Hier der Artikel des Journalisten Adrien Jaulmes vom „Figaro“.
Bozoum, Sonderbericht:
 
In den Dörfern wie in der kleinen Stadt Bozoum ist Pater Aurelio eine Berühmtheit. Wenn er mit seinem Auto vorbeifährt, winken ihm die Leute , und sein Wagen ist sofort umringt, wenn er anhält. In der ganzen Umgebung erkennen die Leute ihn schon von Weitem an seiner Gestalt. Sehr schmal, 10 Jahre jünger aussehend als 52 Jahre, ein kleines Holzkreuz um den Hals, ein blaues Hemd, eine kurze Sommerhose und  Sandalen, die rot von Laterit sind, ein kurzer Bart. Der italienische Missionar wird überall empfangen als der Mann, der Hoffnung, Ermutigung und Beruhigung bringt.
Auf seinem einsamen Posten in dieser Stadt, die mehr als 400 km nordwestlich von Bangui liegt, sind seine einzigen Waffen ein Mobiltelefon, seine außerordentliche Energie und sein unverwüstlicher physischer und moralischer Mut.  Pater Aurelio hat monatelang einen fast unmöglichen Kampf geführt.
Er weigert sich, die Gewalt als unvermeidbar anzusehen, und versuchte, den schrecklichen Teufelskreis von Übergriffen und Gewalt, der in Zentralafrika anfing, zu beenden. Oder, wie er es schreibt, „ein bisschen Menschlichkeit und Rationalität in den Wahnsinn des Bürgerkriegs zu bringen.“
Pater Aurelio ist es nicht gelungen, alle Gewalttaten und Zerstörungen verhindern. Aber manchmal hat er es geschafft, den einen oder anderen dazu zu bringen, auf die Vernunft zu hören, und manchmal hat er geholfen, das Schlimmste zu vermeiden. Seit Monaten führt er seinen persönlichen Kampf,  um vor den wachsenden Gefahren zu warnen. Als sich die Höllenmaschinerie erst einmal in Gang gesetzt hatte, intervenierte er, um zu versuchen, beide Seiten dazu zu bringen, die Waffen niederzulegen, sammelte selbst die Macheten und Gewehre ein, sprach mit den Mördern, versuchte, die Gemüter zu beruhigen und zu vermitteln, um ein Blutbad zu vermeiden.
Der Karmelitenpater Aurelio Gazzera kam in den frühen 90ern nach Zentralafrika und ist seit 2003 für die Gemeinde St. Michael in Bozoum verantwortlich. Die Ankunft der Seleka-Rebellen in der kleinen Stadt hat seine apostolische Sendung verändert.
Als die Rebellen – eine moderne und afrikanische Form der mittelalterlichen Räuberbanden - am 26. März 2013 mit ihren Pickups aus dem Norden in Bozoum ankommen, verhalten sie sich hier wie im Rest des Landes: sie sind gewalttätige Banditen, die stehlen, rauben, erpressen, Lösegeld fordern, foltern und töten.
„Sie haben von Anfang an wer weiß was alles gemacht,“ sagte Pater Aurelio, der immer versuchte, ihren Gewalttaten einen Riegel vorzuschieben. „Ich habe regelmäßig ihren Hauptmann besucht , Oberst Yahya Massar,“ sagte er. „Wenigstens mit ihm konnte man vernünftig reden. Aber er hatte nicht immer großen Einfluss auf seine Leute.“
Pater Aurelio hat selbst die Brutalität der Milizen erfahren. „Die Seleka-Rebellen hatten einen jungen Mann 10 Tage lang gefoltert. Sie ließen ihn so lange gefesselt, dass er seine Hände nicht mehr gebrauchen konnte. Ich bin hingegangen und habe ihnen gesagt, dass sie nicht das Recht hätten, Menschen zu foltern. Sie sagten mir, sie seien Soldaten und könnten machen, was sie wollten. Einer von ihnen wurde wütend und schlug mich. Ich bin gegangen, aber sie schienen jedenfalls ein bisschen Angst vor mir zu haben. Im Grunde sind es Feiglinge, die sich an den Schwächeren auslassen. Wenn man sie hart anfasst, schafft man es, sie zu bezwingen, wenigstens teilweise.“
In seinem Blog berichtet Pater Aurelio von diesen Gewalttaten und von der zunehmenden Spannung, die er beobachtet. Er versucht, Alarm zu schlagen, um die öffentliche Meinung, die Medien und die Regierungen auf den Flächenbrand aufmerksam zu machen, der Zentralafrika zu verschlingen beginnt.
„Wir haben sehr schnell gesehen, dass die Brutalität der Seleka furchtbare Konsequenzen hat und dass der Hass zwischen den Bevölkerungsgruppen wächst“, sagte Pater Aurelio. „Seit August organisierten sich die Menschen, die über die Gewalt, die Diebstähle und die Folterungen aufgebracht waren, in den Milizen der Anti-Balaka.“
Die Zerschlagung des Schreckensregimes der Ex-Seleka (als solche wird sie seit der fiktiven Zerschlagung der Bewegung bezeichnet) durch das Eingreifen der französischen Truppen und denen der Nachbarstaaten Mitte Dezember löst eine neue Welle von Mord und Zerstörung in Bozoum und in der ganzen Zentralafrikanischen Republik aus.
Die Rollen sind plötzlich umgekehrt. Die Anti-Balaka, Bauernmilizen, die mit Macheten und selbst hergestellten Gewehren bewaffnet sind, greifen an. Die Moslems in der Stadt und die Fulbe, die Hirten sind, die zu Recht oder zu Unrecht mit der Seleka in Verbindung gebracht werden und deshalb verhasst sind, werden die Opfer der Gewalt.
Der Höhepunkt ist am 10. Januar durch den  erzwungenen Rücktritt von Präsident Djotodia erreicht, der dem Schein der Macht der Ex-Seleka in Bangui ein Ende setzt.
Die in Bedrängnis geratenen Milizen der Seleka sind entfesselt, als ob sie hinter sich nur Ruinen und  Zerstörung lassen wollten.
Seite an Seite mit Moslems und Fulbe, die ihre Verbündeten sind, verwüsteten sie die Dörfer um die Stadt herum und terrorisierten die Bevölkerung. „Sie handelten mehr aus Dummheit und Bosheit als zu einem bestimmten Zweck“, meint Pater Aurelio. Mindestens 1300 Häuser wurden in Brand gesteckt. Die in Angst und Schrecken versetzten Bewohner flohen in den Wald oder suchten Zuflucht in der Gemeinde St. Michael in Bozoum.
Das Dorf Boyele im Norden der Stadt ist völlig niedergebrannt worden. Die Bewohner sitzen auf den  Stufen ihrer armseligen Häuser, die durch das Feuer schwarz sind, und suchen die kleinen Dinge, die der Zerstörung durch das Feuer entgangen sind. Einige versuchen, etwas, was zumindest den Anschein eines Daches erweckt, auf den Überresten der Mauern anzubringen.
Die Bevölkerung von Boyele verdankt ihre Rettung der Flucht. „Am Morgen des 10. Januar hörten wir Schüsse,“ sagt ein Dorfbewohner, „also sind wir in den Wald geflohen.“
Die Seleka-Rebellen und die Fulbe kamen und haben die Häuser in Brand gesteckt. Wir haben den Rauch, der zum Himmel stieg, gesehen. Als wir am Nachmittag zurückkehrten, war alles zerstört. Wir haben alles verloren: das Saatgut, die Ernte, die Möbel, die Häuser.“
Zur Vergeltung griffen die Anti-Balaka Häuser der Moslems an und legten einen Hinterhalt auf den Straßen. Die Moslems suchten in Bozoum Zuflucht, das noch in der Hand der ehemaligen Seleka-Rebellen ist, die aber jetzt umstellt sind. „Die Situation war äußerst kompliziert,“ sagte Pater Aurelio. „Wir hatten 3500 Flüchtlinge in der Gemeinde, ungefähr 1500 Fulbe bei der Moschee, und 50 Seleka-Rebellen in der Stadt, die potenziell immer gefährlich sind.“
Der Priester versucht zu vermitteln. „Als man mich aus dem Tschad anrief, um mich zu bitten, die Evakuierung der muslimischen Zivilbevölkerung zu organisieren, gab ich zur Antwort, dass sie eine Bedingung akzeptieren müssten: Sie müssten ebenfalls alle Seleka-Rebellen mitnehmen . Ich habe zwei Tage damit verbracht, die Seleka zu überzeugen, abzuziehen. Bis zur letzten Minute haben sie versucht zu bleiben. Zum Schluss habe ich der Misca ( Soldaten der multinationalen Truppe der Länder Zentralafrikas) gedroht, dass ich mein Auto nehme, um ihnen auf der Brücke über den Ouham die Straße zu versperren, und ich habe gesagt, dass sie mich erschießen müssten, um weiterzufahren.“
Die Brücke wurde 1943 von italienischen Kriegsgefangenen zur Zeit von Französisch- Äquatorialafrika gebaut und ist der einzige Übergang Richtung Norden an der Grenze zum Tschad und der einzige Fluchtweg für die Moslems und die Seleka.
Schließlich stimmte die Seleka zu, die Stadt zu verlassen. Aber Pater Aurelio wird sofort das Ziel der muslimischen Gemeinde, die sehr wütend ist wegen des Abzugs der Seleka, die ihnen Schutz geboten habe. „Es war ein Augenblick höchster Spannung!“, sagte er. „Viele Moslems umringten mein Auto und begannen mit Steinen zu werfen,“ meinte er wie beiläufig. Die Windschutzscheibe seines Toyota ist ein Mosaik von Bruchstücken. „Überraschenderweise wurde ich von einem Moslem und einem Seleka-Rebell beschützt. Dieser hieß 10/15 und war einer der härtesten Männer.“
In der Missionsstation „Sankt Michael“ glauben alle, dass der Pater getötet wurde. „Als ich zurückkehrte, kam es zu einem Freudenausbruch. Die Menschen glaubten an ein Wunder. Sie warfen Kleidung auf den Boden, um mich zu begrüßen – es war wie Palmsonntag.“
Gerade ist die Gefahr durch die Seleka vorbei, da ist Pater Aurelio mit der Rache der Bevölkerung konfrontiert, die nach den Monaten des Terrors wie irrsinnig ist. Opfer werden oft zu den größten Henkern, und jetzt sind die Moslems an der Reihe, für die Gewalttaten durch die Seleka zu büßen. „Die Anti-Balaka sind das Problem geworden,“ sagte Pater Aurelio. „Viele sind Verbrecher ohne Hierarchie, ohne Führer, die da sind, um das Gesetz zu brechen, zu töten und zu rauben. Einige nehmen Kinder der Fulbe als Geiseln, um Lösegeld zu erpressen, zerstören deren Eigentum und zerstreuen ihre Herden. Es ist schwierig, die Menschen dazu zu bringen, zwischen Seleka, Moslems und Fulbe zu unterscheiden,“sagte Pater Aurelio. „Die Moslems haben es nicht geschafft, sich deutlich von der Seleka zu distanzieren, und dafür zahlen sie den Preis.“
Ohne jemanden zu entschuldigen, zweifelt der Pater nicht an den Ursachen der Gewalt.
„Die Fulbe z.B. sind Opfer der eigenen Fehler. Sie waren nicht in der Lage, ein wenig weiter zu sehen. Sie verbündeten sich mit der Seleka, ohne an die Konsequenzen zu denken. Ich habe versucht, sie zu warnen, dass sie sich eines Tage in einer unerträglichen Lage befinden würden. Würden sie sich mit ihren Herden in der Stadt niederlassen wollen, wenn sie nicht mehr draußen auf dem Land bleiben könnten? Aber sie wollten nicht hören.“
Unter dem Schutz der Misca, die mit einer kleinen Abteilung aus Kamerun anwesend ist, leben 2500 Moslems eingepfercht in einer kleinen Straße am Markt von Bozoum. Diese Flüchtlinge  sitzen zwischen ihren Taschen und den wenigen Sachen, die sie aus den geplünderten Häusern mitnehmen konnten, und warten darauf, das Land zu verlassen. „Zentralafrika ist vorbei für uns,“ sagte Djodo Mahamatom, Sprecher der Händler von Bozoum, vor seiner Ladentheke, wo er Gold und Diamanten ankauft.  „Wir können nicht in diesem Land bleiben.“
Ganze Familien der Fulbe- das sind Hirten, Halbnomaden mit oft heller Haut- kochen ihre Mahlzeiten auf kleinen Öfen. Die Frauen tragen bunte Kleidung, haben die Haare geflochten, tragen Silberschmuck und einige haben schöne Tätowierungen auf das Gesicht und die Arme gemalt.
Pater Aurelio bringt den Flüchtlingen jeden Tag Säcke mit Reis, die er auf eigene Kosten gekauft hat. „Der böse Pater ist gekommen, um gute Sachen zu bringen!“, hat zu ihm der Leiter des Bezirks gesagt, Saleh Ibrahim. „Er scherzt“, sagt Pater Aurelio,“ So haben sie mich genannt, als sie mich töten wollten. Unter diesen Leuten sind welche, die mich neulich mit Steinen beworfen haben,“ sagt’s und grüßt die Moslems, die auf ihren Bündeln sitzen so, als wäre nichts gewesen
„Unsere einzige Hilfe ist „Monsieur Aurelio““, sagte Saleh Ibrahim. „Wir haben alles verloren, unsere Geschäfte sind geplündert, sie haben unser Vieh gestohlen. Man kann diese Straße nicht verlassen. Geht man nur ein paar Meter hinter die kamerunensischen Soldaten, töten uns die Anti-Balaka oder entführen unsere Kinder.“
„Wir wollen dieses Land verlassen, aber wir haben nicht einmal die Lastwagen dafür,“ sagte der alte Chef, der 45 Jahre in Bozoum gelebt hat. „Ich bin alt, aber die Jungen müssen einen sicheren Platz für ihr Leben finden.“
Saleh Ibrahim ist einer die vielen Muslime, die eher Opfer als als Komplizen der Seleka sind. „Es ist die Ankunft der Seleka, die Bozoum entzweit hat. Vor ihnen gab es keine Gewalt zwischen uns und den Christen. Sie haben uns geschadet.“
Für Pater Aurelio ist dieser Bürgerkrieg kein Religionskrieg. „Ich denke, dass wir diesen Begriff vermeiden sollten: Es gibt keine christlichen und keine muslimischen Milizen. Das ist hauptsächlich ein politisches, ethnisches und kulturelles Problem. Ich glaube nicht, dass die Seleka jemals ein Programm zur Islamisierung hatte. Es waren Moslems mit arabischer Sprache und sie haben sich auf die muslimische Gemeinde, auf die Händler und auf die Fulbe als Züchter  verlassen. Aber jetzt ist der Schaden angerichtet, und es wird schwer sein, ihn rückgängig zu machen."











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