Sonntag, 2. Februar 2014
Nach einigen ruhigen Tagen hören wir gegen 14 Uhr Schüsse von Feuerwaffen.
Am Vormittag haben die kamerunensischen Soldaten der Misca bei
ihrem Rundgang in der Stadt einen Mann mit einem Gewehr entdeckt. Sie
näherten sich, aber der Mann hat auf einen Soldaten geschossen und ist
geflohen.
Die Soldaten haben die Leute gebeten, ihnen zu sagen, wo der Mann
wohnt, aber sie haben keine Antwort erhalten. Da ließen sie diese auf
den gepanzerten Wagen steigen und befragten jeden einzelnen in ihrer
Basis; sie ließen die Leute gehen, ohne den Täter zu finden. (Zwei
Frauen kamen dann in das Krankenhaus, eine mit einem gebrochenen Arm,
und sagten, sie seien während des Verhörs von den Soldaten der Misca
geschlagen worden, aber es ist unmöglich festzustellen, ob das stimmt.)
Gegen 15 Uhr gehe ich in die Stadt. Auf der Hauptstraße sind viele
Menschen. Ich suche die Soldaten der Misca auf, die mir ihre Version
erzählen. Als ich die Basis verlasse, schreien viele Leute und fordern
den Abzug der Misca aus Bozoum. Ich versuche, sie zur Vernunft zu
bringen, aber das ist nicht einfach. Ich besuche kurz die 2500 Moslems
und die Mbororo, die in ihrem Sektor versammelt sind, und sehe bei der
Rückkehr, dass vor der Misca Reifen angezündet waren.
Die Misca schießt ein paar Mal in die Luft und später werden an vielen Stellen andere Reifen angezündet.
Montag, 3. Februar 2014
Trotz der Brände war es eine ziemlich ruhige Nacht.
Die öffentlichen Schulen sind geschlossen. Ein Lehrer und einige
Schüler der katholischen Missionsschule werden von einem der Anti-Balaka
bedroht, die zahlreich in der Stadt sind, mit Gewehren und Macheten.
Gegen 8 Uhr gehe ich in die Stadt zu einem Treffen mit der Misca,
der OCHA, den „Ärzten ohne Grenzen“, und später zu einem anderen Treffen
mit vier Anführern der Anti-Balaka.
Von beiden Seiten gibt es Erklärungen, die Diskussion ist gut und
ehrlich, aber gegen 9.30 Uhr müssen wir Schluss machen, weil Schüsse zu
hören sind. Tatsächlich haben die Anti-Balaka in der Zone, wo sich die
2500 Moslems und Mbororo aufhalten, angegriffen. Trotz des Schutzes der
Misca (drei ihrer Soldaten wurden verletzt) gibt es einen Toten und 14
Verletzte, darunter einen Schwerverletzten. Die Verwundeten wurden von
Schusswaffen, Macheten und auch von Granaten getroffen, von denen eine
nicht explodierte.
Gegen 13 Uhr scheint die Situation ruhiger zu sein und um 15 Uhr gehe ich dahin, wo sich die Moslems aufhalten.
Am Nachmittag sind keine Schüsse mehr zu hören. Wir werden sehen!
Aber trotz der Schüsse und des Chaos gibt es auch gute Nachrichten!
Hyppolite ist von Bozoum nach Bangui aufgebrochen. Hyppolite, ein
Junge, der seit fast vier Jahren von der Hüfte an abwärts gelähmt ist,
benötigt Behandlung. Und endlich haben wir heute durch „Ärzte ohne
Grenzen“ die Möglichkeit, ein Flugzeug des Roten Kreuzes zu nehmen, das
ihn nach Bangui bringt. Von dort soll er am 8. Februar nach Bologna
(Italien) aufbrechen.
Dienstag und Mittwoch, 4. und 5. Februar 2014
Es trifft die Nachricht ein, dass ein Lastwagenkonvoi aus dem
Tschad für die Moslems, die in Bozoum geblieben sind, angekommen ist.
Wir wissen nicht, ob sie alle 2500 Zivilisten oder nur einen Teil von ihnen mitnehmen.
Wir versuchen, auf alle Fälle einen sicheren Ort für diejenigen zu finden, die vielleicht zurückbleiben.
Nach den Spannungen vom Montag versuchen wir, Bilanz zu ziehen. Die
Urheber der Angriffe auf die Moslems sind junge Männer aus Bozoum,
ebenso wie die Personen, die die Waffen der Gendarmerie und der Polizei
genommen haben: sechs Kalashnikovs.
Am Dienstag um 12 Uhr kommt der Konvoi in Bozoum an und sofort
beginnen sie, Gepäck, Waren und Personen aufzuladen. Alle 2500
Zivilisten fahren auf überladenen Lastwagen weg. Grüße hin und her. Es
tut weh, all diese Menschen abziehen zu sehen.
Junge Leute, Frauen, Mütter, Kinder, Männer, viele grüßen mich. Bei
einigen ist es ein Augenblick größter Emotion. Ein ganzes Leben wieder
von vorn anfangen!
Und für einige wird das Leben nicht einfach sein: Sie haben alles verloren!
Im Augenblick der Abreise erhalten wir eine schlechte Nachricht:
Die Soldaten der Misca ziehen ab! Wir sind mehr als erstaunt! Wie ist
das möglich? In der Stadt gibt es keine Autorität, und die wenigen
Karabinieri und Polizisten haben sich am ersten Tag die Waffen stehlen
lassen.
Nun der Abzug der Lastwagen, und sobald der letzte Wagen aus der
Stadt gefahren ist, bricht die Bevölkerung in lautes Geschrei aus. Es
ist die Freude über die Abfahrt der Moslems. Und vielleicht auch Freude
darüber, dass ihre Abfahrt gut ging, ohne Unfall.
Aber, wie ich befürchtet hatte, beginnen sofort die Schüsse.
Wie kann man nur eine Stadt in diesem Zustand lassen?
Es gibt keine Autorität. Der Präfekt ist seit zwei Monaten abwesend. Es gibt keine Möglichkeit, die Gewalt einzudämmen.
Auch wenn die Soldaten der Misca zurückkehren sollten, müsste man bei null anfangen, und das wird nicht leicht sein.
Donnerstag und Freitag, 6. und 7. Januar 2014
Dank des unverantwortlichen Abzugs der Misca und der fehlenden
Ordnungshüter dürfen wir zwei Nächte mit Schüssen erleben, die sich
auch am Tag wiederholen.
Der Markt ist voller Waren, Gemüse und landwirtschaftlicher
Produkte, aber es gibt nur wenige Käufer. Der Abzug der Moslems und der
Fulbe wird schwerwiegende Konsequenzen haben. Die Preise für importierte
Waren ( Seife, Treibstoff, Öl, Salz und Zucker) sind um 50-100%
gestiegen. Der Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte ist wegen der
fehlenden Kunden schwierig.
Dutzende von jungen Männern sind in der Stadt. Ich spreche sie an
und manchmal gelingt es mir, sie zum Abzug zu bringen, manchmal ist ihre
Reaktion heftig: Sie behaupten, bewaffnet zu sein, um Diebe und
Plünderer abzuwehren ( und sind doch oft selbst Diebe…), oder sie
behaupten, bezahlt zu werden. Von wem? Und was haben sie nach all diesen
Plünderungen getan?
Auf einem Motorrad sehe ich drei Personen, von denen zwei mit
Gewehren bewaffnet sind. Ich halte sie an, mache ihnen Vorwürfe, und
dann frage ich den in der Mitte nach seinem Alter. Er antwortet mir: 14
Jahre! Ich habe ihm gesagt, er solle vom Motorrad absteigen, und habe
ihm seine Stöcke weggenommen.
Am Donnerstagvormittag fahre ich 10 km nach Bata, um die Schulen zu besuchen und Lebensmittel zu bringen.
Wir kommen langsam voran. Und manchmal weiß man nicht einmal, ob man zurück oder vorwärts geht.
Natürlich macht das Fehlen einer zivilen oder militärischen Autorität die Lage nicht einfacher.
Die einzige Lösung ist das Erwachen des Bewusstseins und der Verantwortung auf Seiten der Bevölkerung!
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