Oslo |
Auf Europareise
Seit dem Sonntag, d. 15. Juni, bin ich auf Reisen.
Ich bin am Sonntag nach der Messe aufgebrochen und kam am Abend in
Bangui an. Am Montagmorgen bin ich nach Douala in Kamerun geflogen; am
Abend ging der Flug nach Paris und um 12.30 Uhr kam ich in Oslo in
Norwegen an.
Das Zentrum für humanitären Dialog organisiert jährlich ein Forum,
das Mediatoren zusammenbringt: Etwa 100 Personen aus aller Welt
versuchen friedliche Lösungen für die verschiedenen Konflikte der
Nationen zu finden.
Es ist erschreckend zu sehen, wie die Welt auf ihre Zerstörung
zuläuft, aber es ist auch schön zu sehen, wie viele wunderbare Menschen
überall auf der Welt, oft in aller Stille, versuchen, Frieden zu
schaffen!
Wir arbeiten in Gruppen und bei thematischen Treffen. Anwesend sind
auch Persönlichkeiten von hohem Rang: Kofi Annan, Jimmy Carter…
Am Donnerstag ist Zentralafrika an der Reihe. Ich sitze neben der
Präsidentin, Catherine Samba Panza, und wir versuchen, die Lage
darzustellen. Ich spreche über meine Erfahrung in der Mediation in
Bozoum.
Am Freitag, d. 20., bin ich wieder unterwegs und komme am späten
Vormittag in Genf an. Hier treffe ich Floriana Polito von Caritas
Internationalis, Albert Hengelaar von der Evangelischen Weltallianz ,
Fabio von der „Gemeinschaft Papst Johannes XXIII.“, Beatrice von
Cordaid und den Bischof von Bossangoa in Zentralafrika.
Am Nachmittag stellen wir in einem großen Saal der Vereinten
Nationen Zentralafrika vor; das Publikum ist sehr aufmerksam. Anwesend
ist auch der Apostolische Nuntius, die für die Menschenrechte in
Zentralafrika bestellte Sachverständige der Vereinten Nationen, Frau
Keita Bocoum, und Herr Slimane Cheikh, ständiger Beobachter der
Organisation für die islamische Zusammenarbeit.
Hier meine Ansprache:
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,
Zunächst möchte ich allen danken, die mir geholfen haben, hierher
zu kommen, um an diesem hochrangigen Treffen teilzunehmen, insbesondere
Caritas Internationalis, der Evangelischen Weltallianz und der Ständigen
Vertretung des Heiligen Stuhls.
Ich bin davon überzeugt, dass es beim Aufkommen von Konflikten
notwendig ist, die Aufmerksamkeit aller darauf zu fokussieren, aber auch
alles nur Mögliche zu tun, um die Kriegsführenden zu stoppen.
Andernfalls können sich die Brüche ausbreiten, das ganze Land aus dem
Gleichgewicht bringen und es in Gewalt und Hass versinken lassen, und
sie können sich auch auf die Nachbarländer und die ganze Region
ausweiten. Dies gilt besonders für Zentralafrika!
Ich bin nur ein einfacher Priester, und als Priester bin ich
zutiefst betroffen, wenn Menschen leiden. In den vergangenen Jahren habe
ich wiederholt mit bewaffneten Banditen und Rebellen verhandeln müssen.
In den vergangenen Monaten war ich dabei, als sich der grausame
Teufelskreis aus ethnischen und interkommunitären Konflikten gebildet
hat. Diese Spirale der Gewalt, die die Bevölkerung fliehen lässt und
Terror sät, hat sich mit einer solchen Geschwindigkeit entwickelt, dass
die Internationale Gemeinschaft selbst dann, wenn sie rasch handelt, zu
spät kommt. Zu spät, um den wehrlosen Menschen zu helfen und um die
Bewaffneten zu stoppen. Leider trifft die Internationale Gemeinschaft
oft nur ein, um eine Situation zu stabilisieren, die von verschiedenen
Rebellengruppierungen erzwungen wurde.
Gestatten Sie mir, dass ich kurz skizziere, was in der
Zentralafrikanischen Republik geschieht. Es handelt sich um ein Land,
das reich an natürlichen und menschlichen Ressourcen ist, das aber zu
den ärmsten Ländern der Welt gehört. Ein Land, in dem die Zivilbehörden,
das Militär und die Sicherheitskräfte fliehen, sobald die Spannungen
zunehmen. Ein Land mit einer Gesellschaft, deren soziales Gefüge seit
dem letzten Konflikt zerrissen ist, erst mit einer Invasion und dann mit
einer Reaktion darauf, die einen Riss im Zusammenleben zwischen
Muslimen und Nicht-Muslimen verursacht haben. Bis zur Ankunft der Seleka
gab es in dieser Hinsicht kein ernsthaftes Problem. Ein Land, in dem
Hunderttausende dazu gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen, und
denen es aus unablässiger Angst vor Plünderungen, Gewalt und Waffen
nicht gelingt, einen Weg zurück zu finden. Dies hat einen enormen
Einfluss auf die lokale Wirtschaft. Dazu kommt die Verbreitung und die
Verschlimmerung von Krankheiten wie Malaria und AIDS, eine Zunahme der
Unterernährung, das Fernbleiben der Kinder von der Schule, das Phänomen
der Kindersoldaten, Vergewaltigungen etc. Und dieser gewaltsame
Konflikt, der in einem abgelegenen Winkel Afrikas stattfindet, hat zu
viel Zeit gebraucht, um die Aufmerksamkeit der Internationalen
Gemeinschaft auf sich zu ziehen.
Aber das, was geschehen ist, war vorherzusehen. Einige haben es
gesehen, haben es vorhergesehen und haben gehandelt, um zu versuchen,
der Krise entgegenzutreten. Dies gilt für die religiösen Führer, die
schon im Dezember 2012 verstanden haben, was geschehen könnte. Sie
haben daraufhin mit der Arbeit begonnen, um den Krieg zu verhindern.
Katholiken, Protestanten und Muslime haben eine interreligiöse Plattform
gebildet; sie haben gemeinsam nachzudenken begonnen und sind dann durch
das ganze Land gereist, um die Gewalt und die damit einhergehenden
Risiken anzuprangern.
Die Erfahrung dieser Plattform breitete sich in verschiedenen
Teilen des Landes aus. Überall begannen Christen und Muslime damit, sich
zu treffen und zusammenzuarbeiten, um den Menschen beim Aufbau des
Friedens zu helfen. Diese lokalen Plattformen sind teilweise spontan
(Bossemptélé, Bozoum), teilweise in organisierterer und strukturierterer
Form entstanden (Bouar, Bocaranga, Bossangoa...)..
Es ist kein Zufall, dass Tausende Muslime in katholischen Missionen
Zuflucht gesucht haben (wie beispielsweise in Carnot, Baoro, Boali
Yaloke, Bangui...).
Im Zusammenhang mit der Krise ist Bozoum ein Sonderfall, weil er
zeigt, wie man einem Konflikt durch einen Prozess der Vermittlung und
der Problemlösung unter Einbeziehung aller Beteiligten (Seleka,
Anti-Balaka, Zivilgesellschaft:Christen und Muslime) entgegentreten
kann.
Die Krise, die im März 2013 mit der Ankunft der Seleka-Rebellen
ausbrach (einem Bündnis von Rebellen, die größtenteils aus dem Tschad,
dem Sudan und dem Norden der Zentralafrikanischen Republik stammen),
verschärfte sich ab dem 6. Dezember 2013 in Folge der Kämpfe zwischen
Seleka und Anti-Balaka, die dazu führten, dass die Bevölkerung in die
Wälder oder in die katholische Mission floh, wo 4-6000 Menschen
eineinhalb Monate lebten. Dieser Krise begegneten einige Teile der
Zivilgesellschaft mit großem Mut: ein katholischer Priester, ein
protestantischer Pastor, zwei muslimische Imame, der Sekretär der
Präfektur, ein Beamter des Bildungsministeriums, Frauen, Jugendliche –
mit einem Wort: Männer und Frauen guten Willens.
Dank dieses Vorgehens, das auf der Wahrheit und einer klaren
Zuweisung von Verantwortung basierte, gelang es, die Gewalttätigkeit der
Seleka abzumildern, und es führte schließlich im Januar zum Abzug der
Seleka.
Leider ist es mit diesem Ansatz nicht gelungen, den Exodus der
muslimischen Zivilisten zu verhindern, er hat aber dazu beigetragen, die
Schäden zu minimieren: Wurden im ersten Moment nach den Angriffen der
Anti-Balaka-Bewegung von der Seleka mehr als 130 Menschen getötet – die
meisten davon Zivilisten -, und mehr als 1400 Häuser niedergebrannt, gab
es nach dem Abzug der Seleka nur zwei Tote, darunter ein Moslem.
Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft ist eine der Stärken dieser Erfahrung.
Das Versagen des Staates ist in diesem Land sehr groß, insbesondere
in den Provinzen. Der Präfekt von Bozoum ist seit dem 8. Dezember
abwesend, und seit seiner Ernennung vor einem Jahr war er nur drei
Wochen in der Stadt. Es gibt praktisch keine Gendarmerie oder Polizei,
und allgemein liegt die Autorität der Beamten und Ordnungskräfte nahezu
bei Null, da sie bei jedem Gerücht, es habe Angriffe gegeben, regelmäßig
sofort die Flucht ergreifen…
Nach und nach hat sich ein Vermittlungskomitee gebildet. Es handelt
sich dabei um Männer und Frauen guten Willens, die den Mut haben, den
Weg der Vermittlung auszuprobieren und sich mit der Seleka, der
Anti-Balaka und der Bevölkerung zu treffen. Dieser Ansatz, der im
Dezember 2013 begann, hat mit dem Abzug der Seleka die Bedeutung seiner
täglichen Treffen bestätigt.
Jeden Tag versammelt sich das Komitee um 8 Uhr, auch mit den
Soldaten der MISCA (Truppen der Afrikanischen Union), um die
Sicherheitslage zu analysieren und Entscheidungen zu fällen. Zu diesen
Treffen wird die Anti-Balaka trotz ihrer Präsenz in der Stadt nicht
regelmäßig zugelassen, um ihr keine offizielle Rolle zuzugestehen. Sie
werden jedoch oft angehört, wenn sie Probleme zu unterbreiten haben.
Dieses Komitee hat eine kostenlose Telefonnummer eingerichtet,
unter der gewalttätige Übergriffe angezeigt werden können. Außerdem
wurde ein „Komitee der Weisen“ ins Leben gerufen, das Probleme lösen
soll, da aufgrund der Abwesenheit des Gerichts und des entsprechenden
Personals die Gefahr besteht, dass die Schaffung von Gerechtigkeit den
bewaffneten Gruppierungen überlassen wird.
Ich glaube, dass einer der Faktoren, die zu einem gewissen Erfolg geführt haben, in der realen Autorität (auf
der Grundlage von Vertrauen und Mut) besteht , die die Mitglieder des
Komitees gezeigt haben. Männer und Frauen haben Risiken auf sich
genommen (ich selbst bin geohrfeigt, mit Steinen beworfen und mit
Kalaschnikows beschossen worden), und das Ziel ihres Handelns war sehr
klar: der Frieden. Aber sie waren sich auch ihrer Würde und der Grenzen
bewusst, die nicht überschritten werden dürfen: die menschliche Würde,
die Achtung vor jeder Person. Es freut mich, dabei besonders auf die
Rolle hinweisen zu dürfen, die die Frauen gespielt haben: Sie waren viel
mutiger als die Männer!
Diese Mediationsarbeit hat auch dazu geführt, dass alle Schulen in
einem Umkreis von 70 km wieder eröffnet werden konnten (ca. 50 Schulen
mit 8000 Schülern im März). Auch Saatgut konnte mit Hilfe von
Nichtregierungsorganisationen verteilt werden.
Die militärische Rolle der Afrikanischen Union und der Misca war
gleichzeitig positiv und negativ. Positiv dann, wenn sie sich darauf
eingestellt und etwas zu diesem Mediationsprozess beigetragen haben.
Negativ war sie, wenn sie ihrer Aufgabe nicht nachgekommen sind und
bisweilen die Menschen allein und ohne Schutz zurückgelassen haben (als
sie die Stadt verlassen wollten, ohne sich um die Reaktion der Seleka zu
kümmern, musste ich damit drohen, mein Auto auf einer Brücke
abzustellen, um sie am Abzug zu hindern).
Die Rolle des Staates ist noch immer sehr schwach, und er muss
einer tiefen Krise begegnen, die auf einen langen Zeitraum zurückgeht:
Ein Land, das mit eigenen Mitteln keine einzige Schule errichtet hat,
hat noch einen weiten Weg zurückzulegen.
Diese Krise hat nicht im Dezember 2012 begonnen, sondern ist das Ergebnis von Fehlern und Problemen, die nie gelöst wurden. Wenn wir wollen, dass die Zentralafrikanische Republik einen Ausweg daraus findet, bedarf es einer tiefgehenden Reflexion und eines wirklichen Wandels hinsichtlich Demokratie, Korruption, Bildungswesen, Gerichtswesen etc.
Diese Krise hat nicht im Dezember 2012 begonnen, sondern ist das Ergebnis von Fehlern und Problemen, die nie gelöst wurden. Wenn wir wollen, dass die Zentralafrikanische Republik einen Ausweg daraus findet, bedarf es einer tiefgehenden Reflexion und eines wirklichen Wandels hinsichtlich Demokratie, Korruption, Bildungswesen, Gerichtswesen etc.
Die Rolle der Internationalen Gemeinschaft ist fundamental: Ein
armes Land mit einer geringen Bevölkerungszahl, das jedoch reich ist an
Bodenschätzen, kann leicht zur Beute der Nachbarländer werden, und die
derzeitige Krise kann aus der Zentralafrikanischen Republik eine
Drehscheibe für Terrorismus und Fundamentalismus machen. Boko Haram und
Al-Kaida kommen immer näher. Über einen Einsatz der Vereinten Nationen
im April zu entscheiden und ihn erst im September zu beginnen, scheint
mir zu lange zu dauern! Es ist dankenswert, dass sich die Internationale
Gemeinschaft, die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union, die
Europäische Union und Frankreich in der Zentralafrikanischen Republik
engagieren. Aber wir müssen rasch handeln, wir müssen es besser machen,
wir müssen mehr tun!
Bislang ist es der Internationalen Gemeinschaft noch nicht
gelungen, wirklich etwas zu verändern. Es wurde nicht ernsthaft mit der
Entwaffnung begonnen, und die Teilung des Landes ist dabei, eine
Realität zu werden. Meiner bescheidenen Meinung nach muss mehr zugehört
werden. Nicht nur auf einer “hohen” Ebene (Präsidenten, Regierungen
etc.), sondern vor allem muss man diejenigen anhören, die konkret an der
Basis handeln: Eine Handvoll Männer und Frauen war in der Lage tausend
Rebellen daran zu hindern, die Stadt Bozoum vollständig zu zerstören.
Andere, wie Erzbischof Dieudonné Nzapalainga, der Imam Kobine Layama und
der Pastor Guerékoyamé haben mit ihrer Plattform für religiöse Führer
seit Dezember 2012 das ganze Land durchquert. Es könnte interessant
sein, ihnen zuzuhören und ihre Arbeit zu unterstützen!
Man darf auch nicht die Rolle der Medien vergessen, vor allem des
Internets: Sie stellen ein einzigartiges Instrument dar, um zu
informieren und Nachrichten zu übertragen. Durch E-Mails, Blogs, soziale
Netzwerke haben wir Verbindungen geschaffen, die wertvoll sind und die
etwas verändern können.
Abschließend möchte ich mitteilen, was ich empfinde. Oft frage ich mich, was wir brauchen.
Ist es Geld? Nein, auch wenn es angesichts der unzähligen Nöte der Bevölkerung
wichtig ist, um humanitäre Hilfen zu garantieren.
Brauchen wir mehr militärischer Kräfte? Vielleicht. Sie können die
Sicherheit des Landes gewährleisten, aber dies ist nur eine
Übergangslösung.
Das Wichtigste scheint mir der Wiederaufbau des Herzens zu sein: Schule, Erziehung, Information.
Wir brauchen auch Knowhow. Es gibt so viele Menschen guten Willens!
Aber die gute Absicht reicht nicht immer aus! Wir müssen andere
Erfahrungen kennenlernen, die uns zu verstehen helfen, was nötig ist.
Wir müssen verstehen, was das Land in einen solchen Abgrund gebracht
hat, um die Fehler der Vergangenheit zu erkennen und anzuerkennen, aber
auch, um die Situation in einer Weise zu analysieren, die es erlaubt,
eine friedliche Zukunft zu schaffen.
Denn eine Zukunft in Frieden ist möglich. Diese Institution der
Vereinten Nationen ist entstanden, weil Männer und Frauen nach dem
Zweiten Weltkrieg verstanden haben, dass „mehr Mut für den Frieden nötig
ist als für den Krieg“ (Papst Franziskus), und sie haben alles getan,
was möglich war, um den Traum vom Frieden zu verwirklichen.
Mit ihren Bemühungen, mit der Unterstützung von Männern und Frauen guten Willens, mit der Kraft Gottes kann es uns gelingen!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
La Cathédrale de Oslo |
Le débat sur la Centrafrique, avec Mme la Présidente |
A Genève |
A Genève |
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